Predictive Maintenance
Wie die künstliche Intelligenz die Wartung von Anlagen bei Gerolsteiner verbessern soll
Mehr als 6.000 Antriebe halten die Produktion der Gerolsteiner Brunnen GmbH & Co. KG am Laufen. In 14 Anlagen, jede mehr als 200 Meter lang, werden das meistgekaufte Mineralwasser Deutschlands und auch die unterschiedlichen Erfrischungsgetränke aus dem Eifler Brunnen abgefüllt. Von der Reinigung der Flaschen, über deren Befüllung bis hin zur Sortierung spielen sich zahllose, von elektrischen Maschinen angetriebene Arbeitsschritte ab.
Ich bin der festen Überzeugung, dass KI-Instrumente in ca. 10 Jahren genauso zum Werkzeugkasten eines guten Technikers gehören müssen wie der Lötkolben.
Werner Schwarz, Chief Digital Officer
Eine möglichst effektive Wartung der Maschinen ist für das Unternehmen vor allem während der Hochsaison im Sommer entscheidend, da Produktionsausfälle neben Kosten auch schnell Umsatzausfälle bedeuten können.
Hallo Herr Schwarz, wie kam es dazu, dass Sie sich in dieser Form mit dem Thema KI beschäftigen?
Werner Schwarz: „Der Einsatz von KI-Algorithmen ist für uns nicht neu. Den ersten größeren Erfolg konnten wir im Bereich unserer Absatzprognosen erzielen. Hier sind die KI-Voraussagen mittlerweile treffender als die menschlichen Prognosen. Dieser reale Mehrwert hat einen Aha-Effekt im Unternehmen ausgelöst. Mittlerweile treiben wir das Thema auf verschiedenen Ebenen voran. Eine davon ist Predictive Maintenance. Natürlich haben wir in diesem Bereich zuvor bereits viel unternommen, um die vorausschauende Wartung zu verbessern. Bisher stießen aber alle Methoden schnell an ihre Grenzen. Auch mit KI lassen sich Produktionsausfälle wohl nicht völlig vermeiden. Wir sind aber der Überzeugung, dass wir hier viel besser werden können.“
Was unternehmen Sie konkret, um im Bereich der Wartung besser zu werden?
Werner Schwarz: „In einem ersten Ansatz haben wir versucht, die Daten zu nutzen, die wir bereits zur Verfügung hatten und einen KI-Algorithmus aus diesen lernen zu lassen. Es hat sich aber schnell abgezeichnet, dass das nicht ausreicht. Gleichzeitig haben wir festgestellt, dass es wenig erfolgversprechend ist, gesamte Anlagen zu betrachten. Daher haben wir uns entschieden, uns auf einzelne Komponenten zu fokussieren. Um diesen neuen Weg zu verfolgen, haben wir dann geschaut, welche Sensorik bereits am Markt ist, mit der wir aussagekräftigere Daten zu einzelnen Komponenten ermitteln können. Wir haben schließlich zwei Lösungen gefunden, die unseren Vorstellungen entsprechen. Zum einen ein Sensor von ABB, zum anderen eine Lösung des Berliner Start-Ups AI-Sight.“
Welche Rolle spielen die Trainingssysteme der Lucas-Nülle GmbH bei diesem Ansatz?
Werner Schwarz: „In der Produktion haben wir 30 Maschinen mit diesen Sensoren ausgestattet. Gleichzeitig war uns klar, dass die Daten, die dort anfallen, die Dinge, die wir erfassen wollen, nicht umfassend abbilden werden. Daher haben wir uns auf die Suche nach einem Versuchsaufbau begeben, mit dessen Hilfe wir kritische Lastszenarien simulieren können. Hier kam Lucas-Nülle ins Spiel. Das Servo Maschinen-Testsystem schien uns genau das richtige Werkzeug zu sein. Das hat sich auch bewahrheitet.“
Gibt es erste Ergebnisse?
Werner Schwarz: „Das kann Herr Neifeld genauer beantworten. Dass er sich im Zuge einer Praxisphase seines Studiums so intensiv mit dem Thema beschäftigen kann, ist für uns ein Glücksfall.“
Jan Neifeld: „Dass der Versuchsaufbau mit LN-Servobremse bisher sehr gut funktioniert, kann ich bestätigen. Wir haben verschiedenen Lastszenarien für diese Versuche entwickelt und steigen gerade in deren Testung ein. Daher kann ich zu Ergebnissen aus dem Laborversuch leider noch wenig sagen. Die Sensoren an den verschiedenen Pumpen, Kompressoren und Kesseln in der Produktion haben uns hingegen erste Daten geliefert. Gleichzeitig stehen wir im engen Austausch mit den Herstellern. Vor allem AI-Sight ist sehr an unserem Projekt interessiert und liefert uns spannende Rohdaten, die wir über die Software nicht abrufen könnten. Dieser Austausch wird bei den Versuchen nochmal wichtiger. Wir wollen uns möglichst genau dazu abstimmen, welche Lasten wir simuliert haben und welche Daten dabei anfallen.“
Werner Schwarz: „Am Ende planen wir sozusagen den ‘Lackmustest’, indem wir die Fehlermuster der simulierten Lasten aus dem Labor anhand echt-kaputter Antriebe überprüfen. Die Plausibilität der Ergebnisse ist ein wichtiges Thema für uns. Wenn zwei Sensoren etwas sagen ist das schonmal mehr wert, als wenn es nur einer ist.“
Wie denken Sie, wird der Mehrwert des Projektes für Gerolsteiner aussehen?
Werner Schwarz: „Wir stehen hier am Anfang einer Entwicklung. Ein schlüsselfertiges Wartungskonzept für das gesamte Unternehmen werden wir nicht liefern. Wenn wir die Voraussagen für einzelne Komponenten verbessern können, ist das aber schon ein toller Mehrwert, denke ich. Aktuell interessieren uns dafür vor allem die Schadensmuster, die auftreten. Perspektivisch soll uns der intelligente Algorithmus dann genaue Prognose über die verbleibende Lebensdauer einer Komponente liefern, die sogenannte “Remaining Useful Lifetime”. Das ist aber noch Zukunftsmusik.”
Vielen Dank für das Gespräch. Abschließend noch ein Blick auf unsere Branche: Welchen Stellenwert sehen Sie für das Thema KI in der Berufsbildung?
Werner Schwarz: „Ich bin der festen Überzeugung, dass KI-Instrumente in ca. 10 Jahren genauso zum Werkzeugkasten eines guten Technikers gehören müssen wie der Lötkolben. Vor allem, wenn es um Bereiche wie Qualitätssicherung, Wartung oder auch Reklamationsmanagement geht. Ich denke, es ist von enormer Bedeutung, dass wir das Thema zügig in die Aus- und Weiterbildung integrieren. Unser Beispiel zeigt doch: Die KI-Technologien verlassen gerade die Universitäten und Labore und kommen in der Industrie an. Das Thema KI ist jetzt schon keine Blackbox mehr, sondern begegnet den Technikern in ihrem Arbeitsalltag. Wir müssen es daher für die kommende Generation entzaubern und zu einer Selbstverständlichkeit machen.“
PREDICTIVE MAINTENANCE:
Ralf Linnertz, Produktmanager Maschinen und Antriebstechnik |
Herr Linnertz, mit welchem Interesse begleitet Lucas-Nülle die Versuche in Gerolstein? „Die Zusammenarbeit mit Gerolsteiner kam für uns wie gerufen, da wir aktuell bei LN an einem Trainingssystem zur Predictive Maintenance arbeiten, das noch in diesem Jahr fertig werden soll. Unsere Idee kommt den Versuchen bei Gerolsteiner sogar erstaunlich nahe. Mit Hilfe unseres Servo-Maschinen-Prüfsystems möchten auch wir Alterungen oder Fehler simulieren, die die Sensorik als echte Fehler wahrnimmt. Von den praktischen Erfahrungen in Gerolstein profitieren wir unmittelbar, da wir so auf realistische Daten und Fehlerszenarien zurückgreifen können. Die in der Eifel gewonnenen Erfahrungen fließen direkt in unsere Entwicklung ein. So entsteht ein Trainingssystem aus der Praxis für die Praxis.“ |